Und das alles vor Franz Müntefering!

Gestern war ich zu Gast bei der SPD in Berlin. Ich war gebucht, zusammen mit Dr. Isabel Rohner und Meisterin Nikola Müller im Rahmen des Internationalen Frauentags eine kurze Szene aus dem Werk von Hedwig Dohm vorzutragen.

Ich erreichte Berlin so gegen drei und freute mich auf mein Hotel. „Die SPD wird sich ja nicht lumpen lassen“, dachte ich mir. „Wer schon für den Mindestlohn streitet, wird auch die Kunst nicht darben lassen.“

Ich nächtigte in einem Hostel mit dem Charme einer Jugendherberge, wunderbar gelegen neben dem „Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“. Mein Zimmer bestand aus einem liebevoll schlicht gehaltenen Ikea-Tisch, einem kleinen Bett, einem Fernseher in Briefmarkengröße und keiner Minibar – nicht mal Toblerone! Ich war kurz davor, den Groucho Marx zu machen und bei der Rezeption anzurufen: „Entschuldigung, können sie mir bitte ein größeres Zimmer hochschicken?“ Aber es gab kein Telefon. Dafür gab es eine Inkontinenzfolie zwischen Matratze und Laken. „Da vertraut mal jemand seinen Gästen.“ Für den Preis war es ein absolut akzeptables Zimmer. Danke, SPD!

Über meinem Bett hing ein Bild vom „Holocaust Mahnmal“. „Ach“, dachte ich so bei mir, „ein wirklich einladendes Zimmer. Das Letzte, woran ich heute Nacht denken werde, wird der Holocaust sein und mein erster Gedanke, sollte ich wieder wach werden auch. Gute Nacht Holocaust! Guten Morgen Holocaust!“

Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, ließ ich mich zum Ort der Aufführung bringen. Ich war richtig gespannt! Berlin am Frauentag. Mal was ganz anderes als Köln zu Wieverfastelovend.

Als ich den Saal betrat, fand ich mich in einem kölschen Brauhaus in der Dorotheenstraße wieder. Es gab Salat, Rievkooche, Flönz und Röggelchen. Es war Wieverfastelovend bei der SPD in Berlin. Es war laut, unruhig, kölschselig und am Tisch ganz vorne saß Franz Müntefering. Eine Garderobe gab es nicht! Danke, SPD!

Bevor Isabel Rohner, Nikola Müller und ich die Bühne betraten, ergriff Barbara Hendricks das Mikrofon und brüllte in den Saal: „Schnauze jetzt! Jetzt kommt Kultur!“ Sie meinte es gut mit uns, erreichte aber das genaue Gegenteiö. Da standen wir, in einem kölschen Brauhaus in Berlin und hatten schlagartig 120 Menschen gegen uns. Nur Münte ließ sich nichts anmerken.

Wir begannen unsere Szene: Hedwig Dohm, gelesen von Isabel Rohner und Nikola Müller, im Schlagabtausch mit den Anti-Feministen ihrer Zeit, Nietzsche, Groddeck und Möbius, gespielt von mir. Nach nur 23 Sekunden war der alte Geräuschpegel wieder hergestellt. Danke, SPD!

Nach 5 Minuten betraten die Praktikantinnen von Martin Gerster, MdB den Saal. Ich war gerade dabei, Friedrich Nietzsche zu spielen: „Ihr erster und letzter Beruf soll sein, Kinder zu gebären. Ein Mann der Tiefe hat, kann über das Weib nur orientalisch denken. Er muss das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorherbestimmtes auffassen. Er muss sich hierin auf die ungeheure Vernunft Asiens stellen.“

Buh-Rufe ereilten mich von Seiten der Praktikantinnen Martin Gersters. Dann wechselte ich in die Rolle zu Groddeck und sagte: „Durchschnittlich sechs Tage im Monat ist das Weib siech. Jede Frau, selbst die gesündeste, in in diesen Tagen stets mehr oder weniger intellektuell unzurechnungsfähig. Körper und Geist sind völlig zerrüttet und in Aufruhr gebracht!“

Da platzte den Praktikantinnen der Kragen! Sowas könne man doch nicht sagen! Warum denn so ein Chauvi hier sprechen dürfe! Heute sei schließlich Frauentag! Und überhaupt, das ginge ja gar nicht.

„Das könnt ihr doch nicht bringen“, sprach eine, „auch noch vor Franz Müntefering!“

Mein Einwand später, dass das Theater sei, auch wenn keiner zugehört habe, ließen die Praktikantinnen nicht gelten:

„Aber sie sind so überzeugt davon, dass sie das hier so spielen, oder was?“

„Äh, Nein.“

„Frauen sind nicht siech!“

„Sehr gut!“

„Warum sagen Sie das dann?“

„Das hab ich nicht gesagt!“

„Doch; gerade!“

„Das war nicht ich. Das war Groddeck!“

„Was?“

„Sie sind zu spät gekommen. Das sind Texte von Georg Groddeck!“

„Warum zitieren sie so einen Mann?“

„Ich zitiere nicht, ich spiele eine Rolle.“

„Was?“

„Sie sind zu spät gekommen. Ich spiele die Rolle nur!“

„Warum spielen sie denn eine solche Rolle?“

„Weil ich Schauspieler bin?“

„Aber wenn Sie Anstand hätten, würden Sie eine solche Rolle nicht spielen.“

Jetzt schaltete sich Dr. Isabel Rohner ein: „Sie sind süss“, sprach sie, lachte, drehte sich um und ging. Ich hörte etwas in ihr zerbrechen. Ich vermute, es war ihr Glaube an die politische Zukunft unseres Landes.

Ich war mittlerweile im Geiste schon in meinem Hotelzimmer. Die Praktikantinnen echauffierten sich weiter. Da riss es mich. In Gedanken an das Bild über meinem Bett sprach ich:

„Sie reagieren wie Typen, die zwanzig Minuten zu spät zu „Schindlers Liste“ kommen, um dann nach 25 Minuten vollkommen aufgebracht das Kino wieder zu verlassen mit der Begründung: Das sei ja ein Nazifilm. Überall lauter Nazis. Wer spielt denn sowas und überhaupt, warum darf so ein Film gezeigt werden? Das ist Deutschland hier!“

Das fanden die Praktikantinnen leider gar nicht lustig. Ich schon! Sie gingen. Ich nicht! Ich blieb und ging zur Theke. Münte war leider schon weg. Ich ließ mich volllaufen und alles auf den Deckel der SPD schreiben.

Betrunken wankte ich zurück ins Hotel und fiel ins Bett. Ich blickte noch einmal auf das Bild an der Wand und dachte:

„Gute Nacht Holocaust. Danke, SPD!“

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Über tapferimnirgendwo

Als Theatermensch spiele, schreibe und inszeniere ich für diverse freie Theater. Im Jahr 2007 erfand ich die mittlerweile europaweit erfolgreiche Bühnenshow „Kunst gegen Bares“. Als Autor verfasse ich Theaterstücke, Glossen und Artikel. Mit meinen Vorträgen über Heinrich Heine, Hedwig Dohm und dem von mir entwickelten Begriff des „Nathankomplex“ bin ich alljährlich unterwegs. Und Stand Up Comedian bin ich auch. Mein Lebensmotto habe ich von Kermit, dem Frosch: „Nimm, was Du hast und flieg damit!
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